Samstag, 22. August 2015

Jeder schreibt sich selbst mindestens eine Kardinaltugend zu.



Meine ist die Ehrlichkeit. Ich bin schamlos ehrlich, schon fast obszön aufrichtig. Ich habe Sehnsucht nach einsamen und verlassenen Stränden, an denen meine Fußspuren die einzigen Zeichen von Zivilisation sind. Sie tauchen ins eiskalte Meerwasser ein, die salzige Gischt sprüht auf mein Gesicht, alles ist irgendwie sehr emotional und schwer. Selbst die Grashalme am Ufer neigen ihre Köpfe zur tiefsten Verbeugung. 
Hinter mir liegt ein randvoller Sommer, voll vor allem von Aktivitäten im Kopf und schillernden Ideen im Gehirn, die kaum reale Umsetzung fanden, weil die Verführungen des hanseatischen Nachtlebens zu süß waren, um widerstehen zu können. So tanzte ich die Nächte durch und verschlief die Tage in meinem abgedunkelten Zimmer, ein Biorhythmus wie ein mienenübersätes Schlachtfeld, jederzeit zum explodieren bereit und willig, meinen Körper in tausend Fetzen zerbersten zu lassen. Aber ich mag das ja, diese Ekstase. Die Zügellosigkeit ist meine Art, meinen tiefsten Gefühlen Ausdruck zu verleihen, den Funken Dunkelheit auszuleben und zu spüren, zu dem ich mich so sehr hingezogen fühle. Das klingt nun alles fantastisch theatralisch, dabei ist es geradezu beschämend gewöhnlich, wie ich jedes Wochenende durch die Clubs der Stadt tingle und erst bei Tageslicht wieder austrete. Zwischendrin schnappe ich bezaubernde Lächeln auf, gönne mir eine Pause am Meer oder in Amsterdam und mache somit alles nur noch schlimmer. Diese ganzen unsehenswerten Dinge und Orte rauben mir die Zeit, aber wenigstens sieht mein Instagram-Feed hübsch und erlebnisreich aus. Dabei erlebe ich rein gar nichts vor diesen prächtigen Kulissen. Denke ich zumindest, meine Freunde beneiden mich ja eher für das alles, obwohl ich finde, dass es an einem stumpfsinnigen Job und zu wenig Zeit für sinnlosen Hedonismus nicht viel zu beneiden gibt. Diese Stadt, die mich so zu faszinieren vermag, ist für mich alltäglich geworden. Ich lebe dort, wo ich immer leben wollte und sehe die schönste Zeit des Lebens an mir vorbeifliegen wie einen Schwarm gesichtloser weißer Tauben. Ich glaube, das ist einfach so. Wenn das Leben zu bunt ist, verliert man den Sinn für das Schöne der Farben. Dann wünscht man sich hartes Schwarz-Weiß mit tristen Grauschattierungen. Nach zu viel Sommer wünsche ich mir nun farblosen Herbst, Braun über Braun über Anthrazit. Zu viel Sonne lässt mich mir Regen wünschen, dicke Wolken voller Düsterkeit und Melancholie, mit ein wenig Lana del Rey im Ohr und einem guten Buch in der Hand. 
Mir geht's prächtig, das Leben ist toll - es könnte nur gern ein wenig dunkler sein.

1 Kommentar:

Sailor Strawberry hat gesagt…

meh. Dem stimm' ich nur bedingt zu. ich finde durch das Starren auf viele viele Farben, sind sie noch so grell, schärft sich eher der Sinn dafür, sie unterscheiden zu können.
Andererseits sollte ich momentan nicht mitreden, mein Leben ist mir grad zu grau. x)